m Herzen Belgiens, in der beschaulichen Kleinstadt Lessines, findet jedes Jahr am Karfreitag ein ganz besonderes Spektakel statt: die Karfreitagsprozession. Diese Prozession, die seit Jahrhunderten ein fester Bestandteil des religiösen Lebens der Stadt ist, zieht nicht nur die Einheimischen in ihren Bann, sondern lockt auch zahlreiche Besucher von außerhalb an. Was sie so einzigartig macht, ist die faszinierende Mischung aus tiefer Andacht, mystischer Atmosphäre und einer beinahe unheimlichen Inszenierung.

Ein Blick in die Geschichte

Die Ursprünge der Prozession reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Sie wurde ins Leben gerufen, um an das Leiden und Sterben Christi zu erinnern, ein zentraler Bestandteil der christlichen Karfreitagsliturgie. Doch im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Veranstaltung zu einem kulturellen und spirituellen Höhepunkt entwickelt, der weit über den religiösen Rahmen hinausgeht.

Die Prozession ist nicht nur ein Ausdruck des Glaubens, sondern auch ein Spiegel der Geschichte und Identität der Region. Die eindrucksvollen Figuren und Rituale, die sich in ihrer Form und Symbolik kaum verändert haben, erzählen von den Nöten und Hoffnungen vergangener Generationen.

Jörg Bergs - Lessines Prozession

Die Atmosphäre: Zwischen Ehrfurcht und Gänsehaut

Was diese Prozession so besonders macht, ist ihre mystische und zugleich leicht gruselige Inszenierung. Der Zug bewegt sich langsam durch die engen Gassen der Altstadt von Lessines, die im Schein flackernder Fackeln in ein schummriges Licht getaucht sind. Dunkle Kapuzenfiguren, die sogenannten „Pénitents“, führen den Zug an. Sie tragen schwere Ketten, die sie mit jedem Schritt über das Kopfsteinpflaster schleifen lassen, was ein unheimliches, rhythmisches Klirren erzeugt.

Hinter ihnen folgt ein Sarg, der das Kreuz symbolisiert, begleitet von weinenden Frauen in traditioneller Trauerkleidung. Das Ensemble wird von düsteren Chorälen und langsamen Trommelschlägen untermalt. Es ist ein Schauspiel, das gleichzeitig Ehrfurcht und Gänsehaut auslöst. Zuschauer berichten häufig von einem tiefen Gefühl der Verbundenheit, gepaart mit einer schwer greifbaren, mystischen Anspannung.

Symbolik und Rituale

Die Karfreitagsprozession in Lessines ist reich an Symbolik. Jede Figur, jedes Kleidungsstück und jedes Ritual hat eine tiefere Bedeutung. Die Kapuzenfiguren stehen für Buße und Demut, während die weinenden Frauen die Trauer um den Tod Christi verkörpern. Der Sarg, der oft mit Blumen geschmückt ist, symbolisiert das Grab Christi und erinnert an dessen Opfer.

Eine Besonderheit ist die Stille, die die Prozession begleitet. Zuschauer und Teilnehmer sprechen kaum, das Schweigen wird nur von den rituellen Geräuschen durchbrochen. Diese Stille ist nicht nur ein Zeichen der Andacht, sondern verstärkt auch die eindringliche Wirkung des Geschehens.

Ein fotografisches Erlebnis im Grenzbereich

Für mich war die Prozession nicht nur ein spirituelles, sondern auch ein fotografisches Erlebnis. Ausgerüstet mit Kodak TMax 3200 und Delta 3200 Filmen habe ich versucht, die düstere, mystische Stimmung in Bildern festzuhalten. Wegen der stockdunklen Verhältnisse entschied ich mich, die Filme auf 6400 ASA zu belichten. Die Entwicklung übernahm ich bei MeinFilmLab. Die Ergebnisse sind beeindruckend: grobkörnige, kontrastreiche Aufnahmen, die die intensive Atmosphäre der Prozession perfekt einfangen.

Ein kulturelles Erbe

Die Karfreitagsprozession von Lessines ist heute weit mehr als ein religiöses Ritual. Sie ist ein lebendiges kulturelles Erbe, das die Menschen verbindet und ihnen eine gemeinsame Identität verleiht. Gleichzeitig dient sie als Mahnung, die universellen Themen von Leid, Opfer und Hoffnung nicht zu vergessen.

Die Prozession wurde 2009 in die Liste des immateriellen Kulturerbes Belgiens aufgenommen und ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Traditionen über Jahrhunderte bewahrt und gleichzeitig an die Gegenwart angepasst werden können.

Fazit: Ein Erlebnis, das unter die Haut geht

Die Karfreitagsprozession in Lessines ist ein Ereignis, das man mindestens einmal im Leben erlebt haben sollte. Sie ist ein Zeugnis gelebter Tradition, ein Fest der Sinne und ein Moment des Innehaltens. Die Mischung aus mystischer Atmosphäre, gruseligen Inszenierungen und tiefer Spiritualität macht diese Prozession zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Wenn Sie also das nächste Mal Belgien besuchen und sich von einem besonderen kulturellen Highlight verzaubern lassen möchten, planen Sie Ihren Aufenthalt unbedingt rund um den Karfreitag – und erleben Sie die einzigartige Prozession von Lessines hautnah.