Unser letztes langes Wochenende im ersten Halbjahr 2025 verbrachten wir zwischen Hessen und Thüringen. Wir machten einen Zwischenstopp in Wetzlar, um Kontakte zu pflegen, Technik zu studieren und Bilder zu betrachten. Anschließend fuhren wir nach Weimar, um dort am frühen Morgen bei bereits 30 Grad Celsius das Konzentrationslager Buchenwald zu besichtigen. Es war keine leichte Fahrt. Wir waren geschichtlich gut vorbereitet, aber wie mein 15-jähriger Sohn den Besuch letztendlich verkraften würde, war zu diesem Zeitpunkt völlig unklar.

Das Lager war wenig besucht, sodass wir viel Platz und Zeit hatten, alles zu besichtigen. Es war größer, als wir erwartet hatten, und die Hitze zur Mittagszeit tat ihr Übriges. Wenn man sich vorstellt, unter welchen Bedingungen die Gefangenen im Winter und Sommer qualvoll leiden mussten, macht sich eine sehr bedrückende Stimmung breit.

Das Lager wurde auf einem Berg errichtet, und die sengende Hitze an diesem Tag verstärkte das bedrückende Gefühl. Ich fotografierte digital, für ein langsames, analoges Arbeiten war keine Zeit. Dafür übertrug ich die Schwärzungskurve des Kodak TriX auf die digitalen Bilder, sodass mein Look erhalten blieb.

Mein Sohn im Krematorium Buchenwald

Der SS Hundezwinger

SS Kaserne

 

Weg zur Eisenbahnrampe

Buchenwald – Bahnhof und Rampe

Es ist ein stiller Ort heute. Verlassen, zugewachsen, fast vergessen. Und doch war genau hier einst das Tor zur Hölle.

Ab 1943 fuhr eine eigens gebaute Bahnlinie von Weimar hinauf auf den Ettersberg – direkt bis vor das Konzentrationslager Buchenwald. Der alte Bahnhof, von dem kaum mehr als ein paar Mauerreste übrig sind, war Endpunkt unzähliger Transporte. Die Gleise endeten wenige Meter vor der sogenannten Selektionsrampe.

An der sogenannten „Selektionsrampe“, unmittelbar neben dem Gleis, fanden brutale Aussonderungen statt: Arbeitsfähige wurden ins Lager überstellt, andere als „nicht verwendbar“ eingestuft – mit tödlichen Konsequenzen. Die Gleise dienten nicht nur dem Transport von Häftlingen, sondern auch von Materialien für die nahegelegene Rüstungsindustrie, darunter die Gustloff-Werke und die unterirdische Raketenproduktion in „Dora“.

Ich habe diesen Ort fotografiert. Nicht spektakulär. Keine ikonischen Bilder. Nur Spuren: Beton, Erde, rostiges Metall. Und Stille.

Es sind Orte wie dieser, die bleiben müssen – gegen das Vergessen. Nicht aus Sensationslust, sondern weil Geschichte dort spürbar wird, wo sie geschehen ist.

Eingang zum Lager mit dem Tor zur Hölle

Der Zaun

Das Konzentrationslager Buchenwald war rundum von einem mehrreihigen Stacheldrahtzaun umgeben – befestigt mit Betonpfosten, durchzogen von Strom. Der innere Bereich, das sogenannte „Todesstreifen“, war besonders gesichert: Flutlicht, Warnschilder, Schießbefehl. Wer diesen Bereich betrat, starb.

Der Zaun war nicht nur ein physisches Hindernis. Er war Teil der Inszenierung totaler Kontrolle. Eine Linie, die das Lager von der Welt trennte – und die Hoffnung gleich mit.

Heute steht ein Stück dieses Zauns noch. Teils rekonstruiert, teils im Original erhalten. Er wirkt unscheinbar. Und doch zieht er eine Grenze, die sich mit Worten kaum fassen lässt.

Baracke des Häftlingskrankenbaus

Ich stehe vor der letzten erhaltenen Baracke des ehemaligen Häftlingskrankenbaus. Von außen ein schlichter Holzbau, unscheinbar – fast harmlos. Doch das, was sich hier abspielte, war Teil des perfiden Systems von Gewalt, Kontrolle und Täuschung.

Der Häftlingskrankenbau in Buchenwald bestand aus über 20 Baracken, in denen nicht geheilt, sondern selektiert, isoliert und getötet wurde. Unter der Tarnung medizinischer Versorgung fanden Experimente, Vernachlässigung und gezielte Tötung statt – etwa durch Überdosen von Medikamenten, gezielte Infektionen oder Hunger.

Ein Teil der ärztlichen Abteilung war streng von den übrigen Häftlingen abgeschottet. Dort wirkten SS-Ärzte wie Dr. Erwin Ding-Schuler, der im Auftrag des „Robert Koch-Instituts“ Menschenversuche zur Fleckfieberbekämpfung durchführte – mit tödlichem Ausgang für viele der Versuchspersonen.

Gleichzeitig gab es Häftlingsärzte und Sanitäter, die versuchten, Leben zu retten – oft mit kaum Mitteln und unter ständiger Lebensgefahr. Der Krankenbau war also auch ein Ort des Widerstands. Einige der Helfer retteten so Dutzende Menschen, indem sie Diagnosen fälschten oder Verlegungen verhinderten.

Heute erinnert diese eine Baracke an all das – an das vermeintliche „Krankenlager“, das in Wahrheit ein weiterer Schauplatz von Mord und Menschlichkeit zugleich war.


Belegquellen (u. a.):

  • Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora: https://www.buchenwald.de

  • Gedenkstättenrundgang und pädagogisches Material

  • Buchenwald-Dokumentation „Im Schatten des Ettersbergs“ (Gedenkstättenliteratur)

  • u. a. Christian Pross: Wiedergutmachung. Der Kleinkrieg gegen die Opfer (Berlin 1988)

Das Kammergebäude

Auch das Kammergebäude steht noch. Massive Ziegel, funktional gebaut, nüchtern wie der ganze Ort.

Hier wurde ausgegeben, was der Häftling zu tragen hatte: gestreifte Kleidung, Holzschuhe, oft zu groß oder zu klein. Alles nummeriert, registriert, katalogisiert. Die Kammer war Teil der Lagerverwaltung – ein Ort der Bürokratie im System der Entmenschlichung.

Wer hier hineinkam, verlor Namen, Besitz, Identität. Geblieben ist ein Bau mit nüchterner Fassade – stumm, wie fast alles hier.

Und doch erzählt auch er von dem, was war: Dass selbst das Ankleiden der Gefangenen schon Teil der Gewalt war.

Das Krematorium

Schwerer Klinkerbau, ein einzelner Schornstein. Ich fotografierte zunächst nur den oberen Teil – aber spürte die Last, die von unten kommt.

Im Keller waren keine Öfen, sondern Hinrichtungsstationen: Wandhaken, an denen die SS rund 1.100 Menschen – Männer, Frauen, Jugendliche – erhängte oder „ausbluten ließ“. Ein geheimes Vernichtungsprogramm direkt unter der Erdoberfläche.

Insgesamt starben in Buchenwald etwa 56.000 Menschen. Die SS registrierte offiziell 33.462 Todesfälle – jene, die im Lagerarchiv standen. Hinzu kamen Tausende Exekutionen, Todestransporte und Häftlingssterbefälle. Allein im Keller des Krematoriums wurden etwa 1.100 Personen hingerichtet.

Ab Mitte 1940 begann die SS damit, die vielen Toten direkt im Lager zu verbrennen – es waren zu viele für das städtische Krematorium in Weimar. Die Öfen im neuen Lagerkrematorium stammten von der Firma Topf & Söhne, die später auch die Öfen für Auschwitz baute.

Im Anbau wurden Goldzähne entnommen, Organe präpariert, menschliche Haut konserviert. Der Ort war mehr als technische Ablagerung – hier wurde Gewalt gegen den toten Körper zur bürokratischen Routine.

Am 18. August 1944 wurde hier Ernst Thälmann, Vorsitzender der Kommunistischen Partei Deutschlands, im Keller erschossen – auf Befehl der SS – und anschließend verbrannt.

Das Foto vom Schornstein trägt die Schwere dieser Taten. Der Geruch, der im Inneren vorherrscht– Asche, Metall, Öl – ist keine Erinnerung, sondern lebendige Geschichte. Die Zahlen geben dem Erlebten Substanz. Ein unscheinbares Gebäude – mit etwa 1.100 im Keller Ermordeten allein, und Tausenden Opfern im Hintergrund.

Der Sezierraum

Weiße Fliesen, gemauerter Tisch, fest im Boden verankert. Wasserabläufe, ein rostiger Hahn, daneben eine Vitrine mit altem Besteck. Was aussieht wie ein medizinischer Raum, war in Wahrheit Teil der Lagerlogik. Teil eines Systems, in dem der tote Körper nicht endete, sondern weiterverwertet wurde.

Die SS richtete diesen Sezierraum im Anbau des Krematoriums ein – direkt neben den Öfen. Er diente nicht der Aufklärung von Todesursachen, sondern der Kontrolle, der Manipulation und der Verwertung.

Hier wurden Leichen geöffnet, Organe entnommen, Goldzähne entfernt. Haut mit Tätowierungen wurde abgezogen, gegerbt und zu Lampenschirmen, Messergriffen oder Hüllen verarbeitet. Diese Gegenstände galten in SS-Kreisen als makabre Trophäen. In Buchenwald wurden solche Objekte systematisch hergestellt, gesammelt und teilweise an das Hygiene-Institut in Berlin geschickt.

Der Seziertisch ist gemauert und vollständig gefliest – leicht zu reinigen, praktisch, funktional. Er steht noch. Der Raum ist leer. Aber er wirkt nicht verlassen.

Nach der Befreiung fanden amerikanische Soldaten in diesem Raum zwei Schrumpfköpfe, die von der SS als Beweisstücke präsentiert worden waren. Sie wurden bei den Nürnberger Prozessen gezeigt – als Sinnbild einer entgrenzten, entmenschlichten Gewalt. Ob es sich bei den Stücken tatsächlich um menschliche Köpfe handelte, ist bis heute umstritten. Ein Gutachten von 2023 legt nahe, dass zumindest ein Exemplar aus Tierhaut gefertigt wurde. Aber das ändert nichts am System, in dem diese Dinge als Auszeichnung galten.

Was auf diesem Tisch lag, war nicht nur ein Körper. Es war das Produkt eines Weltbildes, das Menschen kategorisierte, entwürdigte, und selbst den Tod noch verwaltete. Ein Raum ohne Blut, aber nicht ohne Schuld.

Der Urnenraum

Ein niedriger Raum. Der Boden bedeckt mit leeren Urnen, säuberlich gestapelt, dicht an dicht. Kein Regal, keine Beschriftung. Nur Form. Keine Erinnerung.

Als in Buchenwald Häftlinge starben, konnten Angehörige – zumindest theoretisch – die Asche anfordern. Dafür waren diese Urnen gedacht. Doch viele Familien wussten nicht einmal, dass ihre Verwandten gestorben waren. Und wenn sie eine Urne erhielten, war darin nicht die Asche eines einzelnen Menschen – sondern eine Mischung. Die modernen Öfen machten es unmöglich, einzelne Körper zuzuordnen.

Die Asche wurde oft einfach ausgeschüttet – auf dem Lagergelände, im Wald, im Massengrab. Der bürokratische Apparat funktionierte trotzdem. Auf den runden Deckeln der Urnen wurden Namen, Geburts- und Todesdaten eingestanzt. „Krematorium Buchenwald“, dazu der Name, etwa: Jan Kafarowski. Geboren 22.5.1903, gestorben 2.8.1941, eingeäschert am 5.8.1941. Daneben seine Häftlingsnummer. Die Asche aber: nicht mehr identifizierbar.

Verantwortlich für die Organisation war unter anderem SS-Mann Walter Warnstädt. Er leitete die Verbrennungen, verwaltete die Urnen, organisierte auch die Morde im Keller des Krematoriums. Der Tod hatte hier Struktur, Ablauf, Ordnung.

Heute ist dieser Raum leer und übervoll zugleich. Jede Urne ein Zeichen für ein ausgelöschtes Leben – und für das Schweigen, das danach kam. Kein Rauch mehr, kein Name, kein Grab. Nur noch Gefäße. Und Fragen.

Die Genickschussanlage

Was heute im Erdgeschoss des Krematoriums zu sehen ist, ist eine Rekonstruktion. Der eigentliche Raum befand sich im Keller – versteckt, funktional, tödlich.

Zwischen 1941 und 1945 wurden dort mehrere tausend Menschen ermordet. Den Gefangenen – meist sowjetischen Kriegsgefangenen, Partisanen oder Widerstandskämpfern – wurde vorgespiegelt, man wolle ihre Körpergröße vermessen. Sie mussten sich an eine scheinbar harmlose Messlatte stellen.

Was sie nicht sahen: Hinter der Holzverkleidung befand sich ein schmaler Schlitz. Dahinter wartete ein SS-Mann. Ein Schuss aus kurzer Distanz, direkt in den Hinterkopf. Lautlos, präzise, ohne Zeugen.

Diese Art der Hinrichtung war Teil eines systematisch organisierten Tötungsprogramms. Zuständig: das Kommando 99 – eine Spezialeinheit innerhalb der Lager-SS, abgeschottet, effizient, tödlich.

Die Leichen wurden sofort im angrenzenden Krematorium verbrannt. Viele Namen wurden nie erfasst. Die Spuren sollten verschwinden.

Heute steht im Obergeschoss eine originalgetreue Nachbildung dieses Raums. Der Schlitz ist sichtbar, die Messapparatur rekonstruiert. Ein schmaler Holzrahmen, unscheinbar – und doch Symbol für eine der perfidesten Formen der industriellen Tötung im Lager.

Gelände und Lage von Buchenwald seit 1945

  • 11. April 1945 – Angehörige der Häftlings-Resistenz übernahmen das Lager, kurze Zeit später erreichten Einheiten der US 3rd Armored Division Buchenwald und befreiten etwa 21.000 Gefangenenationalww2museum.org+5encyclopedia.ushmm.org+5trumanlibraryinstitute.org+5.

  • April–Mai 1945 – Amerikaner leiteten medizinische Erstversorgung ein und zwangen Bürger Weimars, das Krematorium zu inspizieren .


Nachkriegssituation

  • 1945–1950 – Das Lager wurde von der sowjetischen NKWD als Speziallager Nr. 2 genutzt. 28.455 Menschen wurden interniert, rund 7.113 starben an Hunger und Krankheiten in Massengräbernen.wikipedia.org+5de.wikipedia.org+5en.wikipedia.org+5.

  • Dezember 1951 – Übergang an Thüringen; ein DDR-Politbürobeschluss 1950 führte zum Abriss sämtlicher Holzbaracken – einschließlich Häftlings- und SS‑Unterkünfte. Lediglich das Krematorium, das Lagertor und die Wächtertürme blieben stehen buchenwald.de+1buchenwald.de+1.

  • Mai 1952 – Der Abriss begann; bereits ab 1952 lagen Baumaterialreste auf dem Geländede.wikipedia.org+4buchenwald.de+4buchenwald.de+4. Französische Überlebende protestierten gegen diese Planung – das führte zum Erhalt freier Flächen mit Steinmarkierungen an den ehemaligen Standortenbuchenwald.de.


Gedenkstätte und heutiger Zustand


Heute sichtbar auf dem Gelände:

  • Ehemaliger Häftlingsbereich – freigehaltene Flächen mit Granit-Steinelementen, die die Blockstandorte markieren. Die ursprünglichen Holzbaracken sind verschwunden.

  • Erhaltene massive Gebäude – Krematorium (mit Rekonstruktion der Genickschussanlage im Erdgeschoss), Lagertor, Wachtürme und zwei Mannschaftsbaracken aus Stein.

  • Ruinen und Mahnmale – Selektionrampe, Bahnhofsgelände, pathologische Räume und Urnenraum. Alles spiegelt das System, die Tötung, die Verdeckung und das Gedenken wider.


Warum diese Entwicklung zählt

Das Gelände zeigt: Zunächst Befreiung, dann sowjetisches Speziallager, dann Abrissmaterialien. Die Gedenkstätte ist bewusst selektiv erhalten – Erinnerung an Widerstand und Opfer gleichermaßen. Holz war beschädigt oder war Symbol des Leidens – Stein blieb, Beton blieb, Mahnung blieb.


 

Zur fotografischen Arbeit

Buchenwald ist weitläufig. Das Gelände zieht sich über Hunderte Meter, steile Wege, weite Flächen. Um die Ausmaße und Details zu erfassen, braucht man Tage, vielleicht Wochen. Wir hatten nur ein Wochenende. Also musste es schnell gehen – und dennoch präzise.

Ich entschied mich für die Canon R5 mit dem RF24–105 mm – flexibel, schnell, verlässlich. 80 % der Bilder entstanden damit. Die Kamera war das richtige Werkzeug für Übersicht, Weitwinkel und schnelle Reaktionszeiten. Viel laufen, viel sehen, viel dokumentieren.

Für die Innenräume – etwa Sezierraum, Urnenkammer oder Genickschussanlage – kam das RF15–35 mm f/2.8L zum Einsatz. Lichtstark, schnell, verzerrungsarm. Die Abbildungsqualität steht einer Leica in nichts nach. Und sie war nötig: diffuses Licht, enge Räume, keine zweite Chance.

Daneben hatte ich die Leica M11 Monochrom mit dem 35 mm Summilux. Ein anderes Arbeiten – stiller, konzentrierter, fast zurückgenommen. Einzelne Aufnahmen mit dieser Kamera waren eher Beobachtungen als Dokumentation. Innehalten, nicht nur erfassen.

Aber für diese Reise – und ihren begrenzten Zeitrahmen – musste die Canon tragen. Klarheit ging vor Stimmung, Überblick vor Intuition. Trotzdem: An ein paar Stellen durfte es langsam sein.