Neben der Fotografie – zumeist auf und mit Film – beschäftigt mich in ruhigen Stunden zunehmend die Literatur. Seit über 20 Jahren sammle ich Bildbände, darunter Erstauflagen, teils mit handsigniertem Abzug. Aber auch Fachliteratur oder Novellen wecken, je nach Thema, mein Interesse.

Bildbände sind für mich eine echte Inspirationsquelle – weitaus stärker, als es Instagram je sein könnte. Zumal ich mich immer mehr dem gedruckten Bild widme und keine Lust auf die von Werbung durchsetzte Social-Media-Suppe habe. Ich folge dort vielen Fotografen, teils Freunde, teils von mir geschätzte Künstler. Leider spült der Algorithmus seit der Pandemie immer häufiger belanglosen Kram auf meine Bildschirmoberfläche. Das nervt eher, als dass es inspiriert. Also zurück zu den Wurzeln. Denn noch vor wenigen Jahrzehnten waren Bücher und Magazine fast die einzigen Quellen für (fotografische) Weiterbildung.

Nachfolgend eine Auswahl an Büchern, die im ersten Quartal 2025 den Weg in meine Sammlung fanden – und die ich uneingeschränkt empfehlen kann. Es gab noch deutlich mehr, aber mit den folgenden habe ich mich länger und intensiver beschäftigt.

William Middleton: Paradise Now – Das außergewöhnliche Leben des Karl Lagerfeld.

Paradise Now – Das außergewöhnliche Leben des Karl Lagerfeld von William Middleton ist eine umfassende Biografie über den legendären Modedesigner. Das Buch zeichnet Lagerfelds Weg von seiner Kindheit in Hamburg über seine Anfänge in Paris bis hin zu seinem Aufstieg als stilprägende Figur der Modewelt nach. Es beleuchtet seine schillernde Persönlichkeit, seine unermüdliche Arbeitsweise, seine Rivalität mit Yves Saint Laurent, sein Leben zwischen Exzentrik und Disziplin und seine Rolle bei Chanel, Fendi und seinen eigenen Marken.

Middleton verbindet dabei intime Einblicke mit detaillierter Recherche und zeigt Lagerfeld als komplexen, oft widersprüchlichen Menschen – kreativ, streng, ironisch und faszinierend. Lagerfeld war eine Ikone, eine fast göttlich kreative Gestalt. In meiner Sammlung finden sich einige Bildbände, die er in Zusammenarbeit mit Gerhard Steidl veröffentlichte. 

Paradise Now - Karl Lagerfeld

Gilles Roudière – Soledades

Gilles Roudière – Soledades ist ein poetischer Fotoband, der in körnigen und unperfekten Schwarzweißbildern ein Gefühl von Einsamkeit, Rätselhaftigkeit und innerer Tiefe vermittelt. Aufgenommen überwiegend in Spanien, zeigt die Serie keine klassischen Reportagen oder konkreten Orte, sondern subjektive Momentaufnahmen voller Kontraste, Schatten und Zwischenräume. Menschen erscheinen oft nur als Silhouetten oder fragmentarisch – anonym, körnig, verloren, träumerisch.

Gilles Roudiere - Soledades

Roudière arbeitet intuitiv und analog, seine Bilder leben vom Unausgesprochenen. Soledades ist dabei weniger eine geografische Reise als ein innerer Zustand: eine stille, visuelle Meditation über Einsamkeit, Identität und das Menschsein im urbanen Raum. Der Bildband überzeugt auf mattem Papier und einem kleinen Heft mit zusätzlichen Bildern. Gekauft habe ich den Band direkt beim französischen Verlag.

Sally Mann – Immediate Family

Sally Mann – Immediate Family ist ein eindrucksvoller und kontrovers diskutierter Fotoband, in dem Mann ihre eigenen Kinder in intimen, oft inszenierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigt. Die Fotos, aufgenommen in den 1980er-Jahren auf ihrem abgelegenen Anwesen in Virginia, thematisieren Kindheit, Verletzlichkeit, Körperlichkeit und das Aufwachsen in einer zugleich idyllischen und wilden Umgebung. Mann arbeitete für diesen Band fast ausnahmslos mit Großformat und zeigt das Leben einer idyllischen Familie, die ungeschönt nahe eines Flusses inmitten der Natur lebt. 

Mit großer Nähe, aber auch künstlerischer Distanz, fängt Mann Momente zwischen Spiel, Ernst und Übergang ein – oft schön, manchmal verstörend. Die Bilder fordern den Blick heraus und bewegen sich bewusst im Spannungsfeld zwischen dokumentarischer Echtheit und ästhetischer Konstruktion. Immediate Family ist ein radikal persönliches Werk, das tief ins Private reicht und zugleich universelle Fragen über Familie, Kindheit und Fotografie aufwirft. Leider steht dieser Bildband kontrovers in Diskussion; heute mehr denn je. Für mich ein herausragendes Werk. Mann ist eine starke und zu würdigende Persönlichkeit, die im Bereich der analogen Fotografie meisterliche Akzente und Leistungen setzt.

Sally Mann - Immediate Familiy

Sönke Ahrens – Das Zettelkasten-Prinzip

Dieses Buch bietet eine praxisnahe Einführung in die Methode des produktiven Schreibens und Denkens nach dem Vorbild von Niklas Luhmanns Zettelkasten-System. Ahrens zeigt, wie sich durch die gezielte Verknüpfung von Notizen tiefes Verständnis, originelles Denken und langfristige Wissensarbeit entwickeln lassen. Dabei steht nicht das bloße Sammeln von Informationen im Vordergrund, sondern das aktive Verarbeiten und Vernetzen von Gedanken – ein Ansatz, der perfekt mit David Allens Getting Things Done harmoniert. Ich setze das System mit EMACS Org um, weil Open Source und systemunabhängig.

Während GTD für Klarheit im Handeln sorgt, bringt das Zettelkasten-Prinzip Struktur ins Denken. Beide Systeme ergänzen sich ideal: GTD kümmert sich um die Umsetzung, der Zettelkasten um die Erkenntnis. Ich setze beide Methoden in Einklang und schaffe einen Workflow, der sowohl produktiv als auch kreativ ist – und dabei nachhaltig wirkt.

Sönke Ahrens - Das Zettelkasten-Prinzip

Lena Muchina – Lenas Tagebuch

Dieses erschütternde Zeitdokument gibt Einblick in das Leben der 16-jährigen Lena Muchina während der Blockade von Leningrad 1941–1942. In eindringlichen, klaren Worten beschreibt sie die allmähliche Veränderung ihres Alltags – von schulischen Sorgen und Freundschaften hin zu Hunger, Kälte, Angst und dem Verlust nahestehender Menschen. Was als typisches Teenager-Tagebuch beginnt, entwickelt sich zu einem schonungslosen Zeugnis des Überlebens in einer über 800 Tagen belagerten Stadt. Szenen wie den Tod der Großmutter, Mutter und Katze, welche nach Schlachtung die Familie über Tage ernährte, sind kaum zu fassen.

Gerade heute – 80 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager, in einer Zeit, in der sich Geschichte manchmal zu wiederholen droht – wirkt Lenas Tagebuch wie ein mahnender Ruf aus der Vergangenheit. Es erinnert daran, wie fragil Zivilisation ist, wie brutal Krieg sein kann – und wie wichtig es ist, persönliche Stimmen wie Lenas zu hören und weiterzutragen. Ein stilles, aber umso stärkeres Plädoyer für Mitmenschlichkeit, Frieden und Erinnerung.

Lena Muchina - Lenas Tagebuch

Ralph Gibson – Salon Littéraire

Ralph Gibson – Salon Littéraire ist mehr als ein Bildband – es ist eine Hommage an das gedankliche Zusammenspiel von Literatur und Fotografie aus und über Frankreich, geschaffen von einem der großen Meister des Kleinbildmediums. Gibson, bekannt für seine grafisch starken, oft geheimnisvollen Schwarzweißaufnahmen, verbindet in diesem Werk visuelle Poesie mit literarischen Motiven aus vielen seiner Frankreichreisen. Seine Kompositionen spielen mit Symbolik, Licht und Form – jedes Bild wirkt wie ein Fragment eines ungeschriebenen Romans.

Ralph Gibson - Salon Litteraire

Was Salon Littéraire besonders macht, ist nicht nur die Tiefe der Bilder, sondern auch das handwerkliche Erbe, das darin weiterlebt: die analoge Fotografie, die handgefertigten Dunkelkammerprints, die bewusste Reduktion auf das Wesentliche. Gibsons Haltung zur Leica-Messsucherkamera – als Werkzeug mit Seele – zieht sich wie ein stiller Subtext durch das Werk. Nur wenige Bilder in dem Band sind mit aktuellen digitalen Messsuchern aufgenommen, die sich durch ihre kühle Bildästhetik von selbst entlarven.

Für alle, die Fotografie nicht nur als Technik, sondern als Ausdruck von Denken und Sehen verstehen, ist dieses Buch ein Schatz. Dass du ein persönlich signiertes Exemplar besitzt, ist ein besonderes Glück – ein greifbares Stück Fotogeschichte in Händen zu halten, das einen direkten Bezug zum Künstler selbst hat. Ich schätze mich glücklich, ein persönlich signiertes Exemplar zu besitzen – ein greifbares Stück Fotogeschichte in Händen zu halten, das einen direkten Bezug zu Ralph selbst hat. Als Mensch bewundere ich ihn sehr: stets ehrlich, humorvoll und adrett.