John Sexton: Listen to the trees
Aus der Wimbledon School of Art erwarb ich einen seltenen und sehenswerten Bildband von John Sexton: Listen to the trees. Sexton ist – man möge mir die Wortwahl verzeihen – ein Ziehsohn von Ansel Adams. Nach dem Tod von Adams führte Sexton dessen Art der Fotografie fort, die er bei ihm gelernt hatte. Hier geht es um nichts weniger als um reine Fine-Art-Kunst aus der Dunkelkammer.
Bäume und Gestrüpp, selten komplette Landschaftsbilder, sind in allen vom Silberkorn darstellbaren Grautönen zu sehen. Es ist die höchste – und oft auch die langweiligste – Form der meisterhaften Großformatfotografie. Zeitweilig versuchte ich mich selbst Ende der Nullerjahre mit meiner Rollei an dieser Arbeitsweise.
Das Buch ist für Techniknerds unverzichtbar, denn am Ende bietet es exklusive Einblicke in Sextons Auswahl von Filmen und Photochemie. Die Motive sind atmosphärisch fein ausgearbeitet – Bilder, die in einer Arztpraxis oder einem Krankenhaus Ruhe ausstrahlen, auf mich in ihrer Gesamtheit jedoch zunehmend langweilig wirken.
Zugutehalten muss man Sexton seinen bis heute andauernden Elan für die analoge Fotografie. Er ist einer der wenigen Amerikaner, die öffentlich über Produktionsfehler bei Kodak sprechen – etwa über Rückpapierabdrücke bei Rollfilmen im Jahr 2017. Zudem verkauft er regelmäßig Abzüge über seinen lesenswerten Newsletter und hält, selbst im hohen Alter, Workshops – vornehmlich in amerikanischen Naturschutzgebieten.
Auf Fotomessen sehe ich regelmäßig, und meist immer wieder, die gleichen Motive von Adams, und etwas seltener auch von Sexton. Das hat alles seine Berechtigung, gleitet jedoch irgendwann in Belanglosigkeit ab. Der von mir geschätzte Landschaftsfotograf Michael Kenna hingegen schafft es, zusätzlich Stimmung in seine Bilder zu bringen und hebt seine Werke damit deutlich über jene von Sexton hinaus.
Ken Schles: Night Walk
Ein von mir geschätzter All-Time-Favorit in meiner Sammlung ist der kleine Bildband von Ken Schles: Night Walk. Ich könnte mir dieses Werk täglich vornehmen. Schles gelang es in den 1980er-Jahren, das New Yorker East Village zu seinem Lebensraum zu machen und dort tief in die Randgesellschaften einzutauchen. Er zeigt kein Chi-Chi – er zeigt, oft schonungslos, das Leben am Rande einer Großstadt, geprägt von Subkulturen, Armut und einer Suche nach Identität. Es war ein täglicher Kampf inmitten von Drogenkriegen, Mafia, Korruption und Raub zu leben.
Schles ist mittendrin im Leben seiner Protagonisten. Beim Betrachten der Bilder ertappe ich mich regelmäßig dabei, in eine gedankliche Zeitblase zu geraten – und mir diese „gute alte Zeit“ wieder herbeizuwünschen – die für Schles allerdings nicht gut gewesen ist. Viele seiner Freunde und Kontakte starben an Aids seinerzeit. Seine Fotografien vermitteln eine Nähe, die ihresgleichen sucht. Das ist fotografische Höchstleistung, wie sie in Night Walk zu sehen ist.
Schles schreckt dabei nicht vor provokanten oder erotisch aufgeladenen Szenen zurück. Männer, Frauen, Paare, Schwule, Lesben – er zeigt sie in ihrer Verletzlichkeit, in Momenten von Intimität, Einsamkeit und Lust. Zugleich vermittelt er eine dichte, fast poetische Stimmung jener Nächte, die er selbst durchlebt hat. Wenn heute das Thema Sexualität – insbesondere unter jungen Menschen – wieder stärker tabuisiert scheint, so wirkte die Generation der 1980er-Jahre (meine eingeschlossen) in vielerlei Hinsicht freier, direkter, kompromissloser. Trotz der politischen Spannungen jener Zeit empfand ich das Leben damals als offener und ehrlicher.
Die Schwarzweißbilder von Schles sind grobkörnig, kontrastreich und von einer Tiefe, wie sie in anderen Bildbänden selten zu finden ist. In der Nacht zu fotografieren war damals ein technisches Wagnis: Filmempfindlichkeiten jenseits von ISO 800 oder 1600 waren kaum realisierbar, und jede zusätzliche Blende Licht musste mit langen Belichtungszeiten oder Blitz erkauft werden. Umso bemerkenswerter ist es, wie viel Atmosphäre und Licht Schles seinen Negativen abtrotzte.
Ich liebe solche kleinen Bildbände – handlich, unaufdringlich, überall mitnehmbar. Night Walk ist eine Fortsetzung seines legendären Debüts Invisible City (1988, Twelvetrees Press) und erschien 2014 bei Steidl. Die erste Auflage ist längst vergriffen, doch ein Nachdruck dürfte noch erhältlich sein.
Invisible City werde ich demnächst hier vorstellen. Night Walk von Ken Schles gehört für mich in jede ernsthafte Fotosammlung.
Edward Steichen
Ein weiteres Juwel meiner Sammlung ist der schmale, aber edle Band Edward Steichen aus der Reihe Photo Poche. Schon das Titelbild – weich, fast neblig, in seiner Tonalität fein abgestuft – deutet an, worum es hier geht: um vollendete antike Dunkelkammerkunst, um das Spiel von Licht und Schatten, das in Steichens Werk zur hohen Schule wurde.
Steichen verstand es wie kaum ein anderer, fotografische Drucke mit malerischer Präzision zu gestalten. Seine Porträts, Stillleben und Akte wirken nicht bloß abgebildet, sondern geformt – durch gedämpftes Licht, noble Schwärzen und das feine Korn des Silbers. Besonders in seinen frühen Arbeiten liegt ein erotischer Unterton, der nie plakativ, sondern stets andeutend bleibt: das sanfte Neigen eines Kopfes, das Spiel von Stoff und Haut, die Balance zwischen Distanz und Nähe.
In jedem Bild steckt handwerkliche Disziplin und der Wille, Fotografie als Kunstform zu begreifen. Die Abzüge sind Meisterwerke der Dunkelkammer – weich gezeichnet, aber präzise in ihrer Aussage. Steichen komponierte seine Bilder wie ein Maler: geduldig, konzentriert, mit einem sicheren Gefühl für Form und Licht.
Techniken, die heute mit aktuellen Materialien kaum bis nicht mehr umsetzbar sind. Alles wurde schärfer, hochauflösender an umwelttechnische Auflagen angepasst. Damit sind einige Prozesse leider verloren gegangen.
Der kleine Photo Poche-Band ist in seiner Schlichtheit ein Denkmal dieses großen Fotografen. Ein stilles Buch, das sich nicht laut anbiedert, sondern seine Wirkung leise entfaltet – wie ein edler Print, der mit jedem Betrachten an Tiefe gewinnt. Photo Poche aus Frankreich kann ich nur empfehlen. Wieder eine kleine und handliche Serie. Aus diesem Verlag stelle ich demnächst Werke von Klavdij Sluban vor.
Julien Green – Mitternacht (Minuit, 1936)
Julien Greens Mitternacht ist ein stilles, düsteres Buch – eine Erzählung, die wie in einem einzigen Atemzug zwischen Traum und Wirklichkeit schwebt. In einer vom Katholizismus geprägten Welt entfaltet Green eine Geschichte innerer Zerrissenheit, in der Schuld, Begehren und Erlösung untrennbar miteinander verwoben sind.
Die Sprache ist klar und zugleich von geheimnisvoller Tiefe. Es geht um Einsamkeit, um den menschlichen Kampf zwischen Körper und Seele, um Versuchung und Gnade. Greens Figuren bewegen sich wie Schatten in einer Zwischenwelt, und alles geschieht im Zwielicht der Mitternacht – jener Stunde, in der das Göttliche und das Verbotene sich berühren.
In seiner Knappheit erinnert der Text an eine fotografische Langzeitbelichtung: kaum Bewegung, aber eine Fülle an Schichten, Grautönen und innerem Licht. Green schreibt mit der Präzision eines Stilisten und der Sensibilität eines Mystikers. Mitternacht ist weniger Roman als seelische Studie – und ein Werk, das wie ein altes Silbergelatinebild noch lange nach dem Lesen nachwirkt.